ES1: Standardkriterium 2 (Teil 1)

Standardkriterium 2 (Teil 1 von 2)

  • Die Pflegefachkraft beherrscht haut- und gewebeschonende Bewegungs-, Lagerungs und Transfertechniken.

  • Die Pflegefachkraft gewährleistet auf der Basis eines individuellen Bewegungsplans sofortige Druckentlastung durch die regelmäßige Bewegung des Patienten/Bewohners, Mikrobewegung, scherkräftearmen Transfer, und fördert soweit wie möglich die Eigenbewegung des Patienten/Bewohners.

  • Ein individueller Bewegungsplan liegt vor.

Implementierung
  • Auch bei diesem Standardkriterium wird zunächst das Fachwissen der Pflegefachkraft über Bewegungs-, Lagerungs- und Transfertechniken gefordert.

  • Praxistipp: Entsprechende Fortbildungen werden häufig von Physiotherapeuten angeboten. 

  • Dazu zählen beispielsweise Techniken nach Bobath oder Kinästhetik, die theoretisch erlernt und praktisch geübt werden müssen. 

  • Merke: Im Vordergrund muss in allen Pflegeeinrichtungen die Bewegungsförderung stehen, was bedeutet, dass Techniken angewendet werden, die es dem Betroffenen durch Freihalten bestimmter Körperzonen ermöglichen, Eigenbewegungen und eigenständige Lageveränderungen durchzuführen. 

  • Zu diesen Körperregionen gehören insbesondere die Halswirbelsäulen- und Schulterregion sowie das Hüftgelenk.

Mobilisation und Transfer
  • Förderung und Verbesserung der Mobilität haben unter Berücksichtigung der Lebensqualität für alle Menschen mit einer Mobilitätseinschränkung oberste Priorität, sofern der Betroffene dies wünscht. Dabei müssen verschiedene Grundsätze berücksichtigt werden. Mobilisation bzw. Transfer: 

    • Prinzip der aktivierenden Pflege 

    • Aktive und passive Bewegungsübungen 

    • Bewegungsförderung 

    • Integration in das soziale Leben 

     

  • Eine regelmäßige Mobilisation wirkt sich deshalb nicht nur auf körperliche Phänomene aus, sie trägt durch soziale Kontakte und Möglichkeiten einer sinnvollen Beschäftigung auch zum seelischen Wohlbefinden bei. Der Teufelskreis von Inaktivität durch Immobilität kann dadurch durchbrochen werden. 

     

  • Im Pflegealltag stellt man gelegentlich fest, dass Transfers wegen eines erhöhten Dekubitusrisikos nicht durchgeführt wird. Aber nur in Ausnahmesituationen, etwa bei einem bereits vorhandenen Dekubitus kann es vorübergehend vorkommen, dass das Sitzen kurzfristig nicht möglich ist. 

     

  • Praxistipp: Sofern eine vorübergehende Bettruhe notwendig ist, müssen soziale Anreize auf andere Art ermöglicht werden, etwa durch den Transport im Bett. 

    Bei vollständiger Immobilität und fehlender Transfermöglichkeit erfolgt die Druckverteilung durch Bewegung und Lagerung.

Lagerung
  • Das oberste Ziel der Lagerung oder von Positionswechseln ist die möglichst vollständige Druckentlastung. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass dadurch Spontanbewegungen abnehmen können und entsprechende Auswirkungen auf den Organismus auftreten. Allgemeine Auswirkungen der Immobilität:

      • Verlust des Körperschemas und der Tiefensensibilität

      • Veränderung der Atemfrequenz und Atemtiefe

      • Veränderte Herz-Kreislauffunktionen 

      • Auswirkungen auf die Blase

      • Veränderungen des Bewegungsapparates, vor allem an Muskulatur und Knochen 

      • Reduktion der Reizaufnahme, vor allem von optischen und akustischen Reizen

      • Dadurch möglicherweise Verlust der Orientierungsfähigkeit 

      • Appetitlosigkeit 

      • Erhöhtes Sturzrisiko 

      • Verzögerte Wundheilung  

 
  • Um diese negativen Auswirkungen einer Immobilisierung zu vermeiden, müssen Lagerungstechniken sich an der Bewegungsfähigkeit des Patienten orientieren, um dessen Ressourcen optimal zu nutzen.

Lagerungstechniken
  • Die Durchführung geeigneter Lagerungstechniken ist für den Erfolg der Dekubitusprophylaxe ausschlaggebend. In den folgenden Abbildungen werden verschiedene Lagerungstechniken zur Druckentlastung dargestellt. 

      • Merke: Grundsatz aller Lagerungstechniken ist die Forderung, dass so viel Körperoberfläche wie möglich aufliegen muss, damit der Druck sich verteilen kann.

  • Die folgenden Lagerungstechniken sind für unterschiedliche Beschwerdebilder entwickelt worden, führen aber alle zu einer Druckverteilung:

  • Die A-Lagerung führt durch das Zurückfallen der Schulterblätter und dadurch über eine Entspannung der Schulterregion zu einer verbesserten Belüftung der Lunge und stammt deshalb ursprünglich aus der Pflege von Patienten mit pulmologischen Erkrankungen oder Eingriffen. 

  • Die V-Lagerung entspricht im Prinzip einer umgekehrten A-Lagerung und führt zu einer Entlastung der Wirbelsäule. Sie kann bei vorbestehenden Hautschädigungen an der Wirbelsäule eingesetzt werden. Diese treten bevorzugt bei kachektischen Patienten auf. 

  • Die T-Lagerung führt ebenfalls zu einer Entlastung der Wirbelsäulen-, Rippen- und Lendenregion. Sie kann auch in halbsitzender oder sitzender Position eingesetzt werden. Auch hier wird die Belüftung der Lunge verbessert.

  • Die Semi-Fowler-Lagerung ist in Deutschland kaum bekannt und wenig verbreitet. In den Niederlanden wird diese Lagerungstechnik regelmäßig zur Druckentlastung eingesetzt. Die häufigste Lagerungstechnik in Deutschland ist die 30°-Lagerung oder Schräglage. Bei dieser Lagerungstechnik ist es wichtig, dass der 30°-Winkel nicht überschritten wird, da der Druck bei größeren Winkeln zunimmt und der Patient dann leicht in eine 90°-Lagerung rutscht, insbesondere dann, wenn noch Eigenbewegungen vorhanden sind. 
      • Praxistipp: Viele Pflegebetten haben seitlich einen Winkelmesser, damit der 30°-Winkel exakt eingestellt werden kann, vor allem wenn die gesamte Liegefläche in 30°-Schräglage verbracht wird. 

  • Die 135°-Lagerung wird nicht so häufig eingesetzt, weil sie für den Betroffenen relativ unbequem erscheint und weil bewegungsunfähige Patienten, die nicht kooperationsfähig sind, mit Einsatz größerer Kräfte bewegt werden müssen, um die 135°-Position zu erreichen.

      • Merke: Beim Drehen muss darauf geachtet werden, dass der Betroffene nicht auf den Extremitäten zu liegen kommt. 

Achtung
  • Die 90°-Lagerung ist obsolet. Wegen starker Druckbelastung des Trochanter major darf diese Lagerungstechnik nicht eingesetzt werden.

Lagerungsintervalle
  • Eine sogenannte »Wandersage« in der Pflege, also eine Meinung, von der jeder schon einmal gehört hat, die aber niemals wissenschaftlich belegt wurde, beinhaltet, dass ein dekubitusgefährdeter Mensch alle zwei Stunden gelagert werden muss. Ursprung dieser Aussage ist die Tätigkeit von Florence Nightingale zur Zeit der Krimkriege im Lazarett. Sie hatte angeordnet, dass alle Verletzten gelagert werden und dies dauerte etwa zwei Stunden. Richtig ist jedoch, dass für jeden dekubitusgefährdeten Patienten oder Bewohner ein individuelles Zeitintervall festgelegt werden muss, dass bei Veränderungen des Pflegezustands angepasst wird. Zu Beginn der pflegerischen Versorgung wird die Lagerung zunächst zweistündlich durchgeführt. Grundlage für die Bestimmung des individuellen Lagerungsintervalls ist der Finger-Test.

      • Merke: Tritt eine Hautrötung auf, wird diese mit dem Finger kurz eingedrückt und danach der Finger schnell weggezogen. Ist die Haut im Anschluss heller, ist der Finger-Test negativ, der Hautzustand ist physiologisch. Bleibt die Haut jedoch gerötet, liegt eine Stauung der ableitenden Gefäße vor, die prinzipiell einem Dekubitus Kategorie I entspricht, der Finger-Test ist positiv und das Lagerungsintervall muss entsprechend verkürzt werden. 

  • Das Ergebnis des Finger-Tests muss dokumentiert werden, wobei das Lagerungs- und Bewegungsprotokoll hierfür besonders geeignet ist. Dabei ist zu unterscheiden zwischen einem Lagerungs- und Bewegungsförderungsplan und dem dazugehörigen Protokoll, in dem die tatsächlich durchgeführten Lageveränderungen, Transfers und Bewegungen dokumentiert werden. Der Bewegungsförderungsplan orientiert sich an dem festgelegten Zeitintervall und beschreibt, zu welchen Uhrzeiten eine Mobilisation oder Bewegungsförderung stattfinden soll. Dieser Plan kann als Teil der Pflegeplanung oder als separates Formular in Kombination mit dem Bewegungsprotokoll erstellt werden.

      • Praxistipp: Niederländische Untersuchungen stellten fest, dass das Lagerungsintervall in Seitenlage kürzer sein sollte als in Rückenlage, da in dieser Position eine größere Auflagefläche vorhanden ist und deshalb eine geringere Druckbelastung entsteht. 

  • Unterschiedliche Zeitintervalle können auch für Tag und Nacht geplant werden, wobei die Aussage, dass nachts generell längere Intervalle erlaubt sind, nicht zutreffen muss, insbesondere bei hohem Risiko oder bei der Gabe von Psychopharmaka. Sofern die Pflegeplanung in Form einer Tagesstrukturplanung erarbeitet wird, müssen die geplanten Lagerungen, Transfers, Mikrobewegungen und Bewegungsübungen aus der Tagesstruktur deutlich erkennbar sein. 

Ambulante Pflege
  • Die Anforderungen des Expertenstandards bezüglich der regelmäßigen Mobilisation, Lagerung und Bewegungsförderung können im ambulanten Bereich nicht in der Form durchgeführt werden, wie dies bei einer 24-stündigen Anwesenheit im stationären Bereich der Fall ist. Eine wichtige Aufgabe ist deshalb die kontinuierliche Aufklärung, Beratung, Anleitung und Schulung des Patienten und seiner Angehörigen. Alle Ergebnisse der Beratung müssen dokumentiert werden, insbesondere dann, wenn der Verdacht auf eine mangelnde Compliance besteht. 
  • Einige Prüfer des MDK möchten, dass Beratungsinhalte schon in der Pflegeanamnese erkennbar sind. Deshalb wird zunächst das festgestellte Risiko und die dazugehörigen Beratungsinhalte im Risikoassessment der Pflegeanamnese dokumentiert, anschließend muss auch im Rahmen der Evaluation und der Pflegevisite eine Dokumentation des Verlaufs erfolgen. Dabei ist immer zu berücksichtigen, ob Angehörige körperlich in der Lage sind, eine Mobilisation oder Lagerung alleine durchzuführen, ob sie die erforderliche Technik beherrschen und ob sie bereit sind, im Zweifelsfall auch nachts die notwendigen Maßnahmen durchzuführen. Diese Vorgaben gelten analog im teilstationären Bereich, also in der Tagespflege, in Nachtpflegeeinrichtungen und bei der stundenweisen Betreuung von Pflegebedürftigen im niederschwelligen Bereich, sofern diese von einer Pflegefachkraft übernommen werden.

Nach oben scrollen
Scroll to Top