ES2: Standardkriterium 1

  • Die Pflegefachkraft verfügt über die Kompetenz, die Mobilität des pflegebedürftigen Menschen, Gründe für Mobilitätsbeeinträchtigungen sowie Umgebungsmerkmale, die für die Mobilität relevant sind, systematisch einzuschätzen. 

  • Sie schätzt zu Beginn des pflegerischen Auftrags die Mobilität des pflegebedürftigen Menschen sowie Probleme, Wünsche und Ressourcen im Zusammenhang mit der Erhaltung und der Förderung der Mobilität ein. -> Sie wiederholt die Einschätzung regelmäßig in individuell festzulegenden Abständen sowie bei Veränderungen der mobilitätsrelevanten Einflussfaktoren. 

  • Eine aktuelle Einschätzung der vorhandenen Mobilität und möglicher Probleme und Ressourcen im Zusammenhang mit der Mobilität liegen vor. Die Entwicklung der Mobilität ist abgebildet.

Screening und Assessment:

Grundlegend für die Einschätzung einer Mobilitätsbeeinträchtigung ist der Gedanke, dass jede Art von Pflegebedürftigkeit als erhöhtes Risiko betrachtet werden muss.

Merke:
  • Das bedeutet, dass eine Einschätzung der Pflegebedürftigkeit bereits ein Instrument des Screenings darstellt. 

      • -> Berücksichtigt werden sollten zusätzlich aber auch biografische, kognitive und psychische Beeinträchtigungen sowie die entsprechenden Ressourcen in diesen Bereichen.

      • -> Ein spezielles Instrument zur Einschätzung einer Mobilitäteinschränkung oder zur Beurteilung der Mobilität wird nicht empfohlen, es werden jedoch zahlreiche Instrumente aufgeführt, die abhängig vom jeweiligen Pflegesektor genutzt werden können. (Dabei handelte sich einerseits um komplexe Instrumente, die Pflegebedürftigkeit an sich berücksichtigen, und andererseits um spezifische Instrumente, die ausschließlich eine Bewertung der Mobilität ermöglichen.)

      • -> Die Nutzung dieser Instrumente ist stark geprägt vom jeweiligen Pflegesektor, ein Instrument, das beispielsweise in der Rehabilitation sinnvoll ist, kann im ambulanten Bereich nicht angewendet werden.

  • Aus diesem Grund werden an dieser Stelle die Instrumente benannt, die von der Expertenarbeitsgruppe eingehender untersucht wurden.

Komplexe Instrumente
  • Barthel-Index

  • FIM

  • Geriatrisches Assessment

  • Pflegeabhängigkeitsskala

  • Resident Assessment Instrument RAI

  • Neues Begutachtungsinstrument NBA zur Einschätzung der Pflegebedürftigkeit

  • EASYCare, entwickelt im Rahmen eines WHO-Projekts

Spezifische Instrumente
  • Timed-Up-and-Go-Test TUG

  • Zehn-Meter-Gehtest 10 m-G

  • Back Performance Scale

  • Dynamic-Gait-Index

  • Esslinger Transferskala

  • General Motor Function Assessment Scale GMF

  • Sechs-Minuten-Gehtest

  • Erfassungsbogen Mobilität EBoMo

Praxistipp
  • Die Nutzung derartiger Instrumente stellt auch eine Schnittstelle zum Expertenstandard Entlassungsmanagement in der Pflege (7 Kap. 3) dar und ist sicher in diesem Zusammenhang relevant, für den praktischen Pflegealltag ist eine wiederholte Einschätzung aufgrund des hohen Zeitaufwandes jedoch sicher nicht immer praktizierbar.

  • Bei den spezifischen Instrumenten wurden zahlreiche Test genannt, die prinzipiell verwendet werden könnten. Auch hier erfolgt nur eine kurze Aufzählung, da eine Empfehlung für einzelne Pflegesektoren im Rahmen dieser Fortbildung nicht möglich ist.

Timed-up and-go-test (TUG)
  • Von diesen Verfahren ist vor allem der Timed-Up and-Go-Test TUG erwähnenswert, da er bereits im Rahmen des Expertenstandards Sturzprophylaxe eine Rolle spielte. Eine flächendeckende Durchführung im praktischen Pflegealltag ist jedoch nicht zu erwarten, zumal im Rahmen der Aktualisierung des Expertenstandards ein »umfassenderer« Blick auf das Sturzrisiko empfohlen wird.

Erfassungsbogen Mobilität (EboMo)
  • Der Erfassungsbogen Mobilität EboMo, wurde von der Universität Witten/Herdecke erstellt und ist besonders geeignet, die Mobilität von Pflegeheimbewohnern zu beurteilen. 

  • -> Er besteht aus 14 Items und ist dadurch auch vom Umfang her im Alltag nutzbar. 

  • Die Items bestehen aus Fragen zu den Bereichen:

      • Positionswechsel im Bett

      • Transfer 5 Sitzen im Stuhl

      • Stehen/Gehen/Treppensteigen

      • Bewegung innerhalb/außerhalb der Einrichtung

  • Anhand der Literaturstudien konnten jedoch Risikofaktoren identifiziert werden, die in einer Kriterienliste zusammengestellt wurden und für das Screening genutzt werden können. Die Berücksichtigung dieser Kriterienliste im Risikoassessment ist mit Sicherheit eine Unterstützung der Pflegefachkraft in ihrer Fachkompetenz.

Kriterienliste
  • Körperliche Inaktivität

  • Visuelle Beeinträchtigungen

  • Übergewicht

  • Kognitive Beeinträchtigungen

  • Müdigkeit bei der Verrichtung von alltäglichen Aktivitäten

  • Einnahme von Benzodiazepinen und Anticholinergika

  • Einnahme von Antidepressiva und Nicht-Einnahme von Medikamenten zur Leistungssteigerung bei Menschen mit Demenz

  • Vorhandensein eingeschränkter Mobilität, Depression

  • Schmerzen

  • Niedriger sozioökonomischer Status

  • Hohe Nachbarschaftsdeprivation

  • Niedrige Selbstwirksamkeitserwartungen (Männer)

  • Geringe soziale Teilhabe

  • Niedriges Kohärenzgefühl (Frauen)

  • Häufige Niedergeschlagenheit, Aggression oder Müdigkeit (Männer)

  • Angst vor Stürzen

  • Besondere Aufmerksamkeit wurde in den Kommentierungen auch Faktoren geschenkt, die von außen dazu beitragen können, die Mobilität einzuschränken, bis hin zur Bettlägerigkeit. Dabei wurden Therapien und Hilfsmittel untersucht, die von Ärzten, Pflegekräften oder Angehörigen eingesetzt werden, um den Betroffenen zu unterstützen. Möglicherweise entwickelt sich jedoch gerade durch diese Maßnahmen ein Mobilitätsverlust.

Praxistipp
  • Besonders gängig ist die Verwendung des Hilfsmittels Rollstuhl, der jedoch im Alltag eher als Sitzmöbel genutzt wird und dadurch seine eigentliche Funktion als Fortbewegungsmittel verliert. 

      • -> Rollstühle werden auch eingesetzt, um Zeit zu sparen oder wenn befürchtet wird, dass der Pflegebedürftige stürzen könnte.

      • -> Gerade in der Langzeitpflege ist zu beobachten, dass der Transfer von einem Rollstuhl als Fortbewegungsmittel in ein richtiges Sitzmöbel nicht regulär stattfindet.

 

  • Ähnlich dem Erfassungsbogen Mobilität kann eine Einschätzung des aktuellen Status auch unter Berücksichtigung der folgenden Aspekte durchgeführt werden

Einschätzung der Mobilität
  • 1. Selbstständige Lagewechsel in liegender Position

  • 2. Selbstständiges Halten einer aufrechten Sitzposition

  • 3. Selbstständiger Transfer: aufstehen, sich hinsetzen, sich umsetzen

  • 4. Selbstständige Fortbewegung über kurze Strecken (Wohnräume)

  • 5. Selbstständiges Treppensteigen

 
  • Diese Erhebung sollte auch Bestandteil der Dokumentation sein. Dabei muss jedoch beachtet werden, dass auch der frühere Mobilitätsstatus behoben werden muss. Einerseits zeigt dieser, ob schon zuvor Beeinträchtigungen vorhanden waren, beispielsweise durch individuelle körperliche Einschränkungen, andererseits kann dadurch eine Bewertung des genannt, die für die Pflegefachkraft relevant sind.

Differenziertes Assessment
  • Aktueller Mobilitätsstatus

  • Früherer Mobilitätsstatus

  • Kognitive und psychische Beeinträchtigungen und Ressourcen

  • Umgebungsfaktoren

  • Erkrankungen und Therapien

Merke
  • Der Abbau von körperlichen Fähigkeiten, auch als Folge des Alterungsprozesses, und die Wirksamkeit von bewegungsfördernden Maßnahmen ist nur durch eine wiederholte Einschätzung möglich. 

      • -> Die Arbeitsgruppe hat diesbezüglich formuliert, dass das Intervall der Wiederholung sehr stark vom Pflegesektor und vom Zustand des Betroffenen abhängig ist.

  • Das Ergebnis dieser Einschätzung kann eine Beschreibung der Ausprägungen von Mobilität oder Immobilität sein. 

      • -> Dies reduziert den Dokumentationsaufwand, da abhängig vom Pflegesektor eine detaillierte Einschätzung nicht möglich oder notwendig ist

Ambulante Pflege
  • Im ambulanten Bereich muss die Mobilitätsförderung nicht zwingend Bestandteil des pflegerischen Auftrags sein, sie ist jedoch Bestandteil einer angemessenen Pflegequalität.

  • Eine Einschätzung der Mobilität ist deshalb notwendig, der Pflegedienst kann eine geeignete Form dafür selbst festlegen: Die Kompetenz der Pflegefachkraft ermöglicht es, den Mobilitätsstatus durch knappe Formulierungen festzuhalten. 

  • Im Expertenstandard werden Beispiele für diese Beschreibung aufgeführt:

Weitgehende Immobilität
  • Der Betroffene besitzt Ressourcen, die es ihm ermöglichen, Mikrobewegungen oder Positionswechsel im Bett selbstständig durchzuführen. Diese Bewegungen können bei Pflegehandlungen aktiv genutzt und gefördert werden, beispielsweise durch das »nachunten Treten« der Bettdecke.

Teilmobilität außerhalb des Bettes
  • Der Betroffene kann aktiv bei Transfers mitarbeiten oder ist in der Lage, frei zu sitzen oder kurz zu stehen. Die Zeit außerhalb des Bettes kann auch als Indikator für eine Mobilitätsverbesserung durch die Maßnahmen genutzt werden.

Mobilität außerhalb des Bettes
  • Der Betroffene kann eigenständig Transfers ausführen oder ist in der Lage, sich im Raum gehend oder mit Hilfsmitteln fortzubewegen. In diesem Fall müssen Umgebungsfaktoren unter dem Aspekt der Sturzprophylaxe bedacht werden. Die Umgebung kann jedoch auch eine Ressource sein, beispielsweise dann, wenn dadurch das Festhalten möglich und die Selbstständigkeit verbessert werden.

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